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Financial Times Deutschland
Mein Leben mit dem iPod-Akku
Donnerstag 6. September 2007, 22:15 Uhr
Er gab mir die Musik meines Lebens, fast zwei Jahre lang. Dann war er ausgebrannt und leer, jedenfalls sein Akku. 20 Minuten Musik am Stück, das war alles, was die alten Zellen noch hergaben. Er sollte wieder auf die Beine kommen: Ich war bereit, alles zu geben.
Nein, eigentlich war ich kleinlich. Ich hätte ihn einschicken können. Er wäre heim zu seinem Schöpfer gekehrt und mit neuer Kraft zu mir zurückgekommen. Das hätte mich 70 Euro gekostet. Der Akku, den ich im Internet gefunden habe, kostete nicht einmal 10 Euro. Ja, das war knauserig. Darf man knausern, wenn es sich um einen iPod handelt? Ich denke jetzt anders darüber als zuvor.
Werden iPods überhaupt hergestellt? Oder werden sie geschaffen, geboren nach einer gewissen Tragezeit aus dem Bauch von glatten, weiß schimmernden Fertigungsstraßen? Oder ist es vielleicht so, dass iPods unter ganz bestimmten Bedingungen des Erdinneren in heißen, dunklen, versteckten Ritzen aus dem Staub der Steine kristallisieren wie Diamanten? Oder kondensieren sie in einer Parallelwelt weit draußen im Weltall aus dem Schweiß der Sterne?
Ja. Natürlich. Ich kann lesen. "Designed by Apple (NASDAQ: AAPL - Nachrichten) in California. Assembled in China" steht klein drauf. Seit Jahren sinniere ich, was diese mysteriöse Formel aussagen könnte. Die offensichtliche Deutung - in China hergestellt - scheint mir zu simpel. Da muss noch etwas sein. Innen. In diesem Satz "Assembled in China".
Schauen Welcher iPod ist es? Eine Nummer, mit der sich der iPod identifizieren lässt, steht hinten im Kleingedruckten auf dem Gehäuse.
Kaufen Bei Produktsuchmaschinen wie www.kelkoo.de findet man mit dem Suchbegriff "ipod akku" schnell einen Lieferanten. Achten Sie darauf, dass eine Anleitung mitgeliefert wird.
Wagen Die Garantie ist hin, wenn man das Ding selbst aufmacht - aber das wissen Sie ja. Viel Glück!
Was habe ich geknobelt. Nächtelang. Dabei ist es ganz einfach zu entschlüsseln, wenn man ein wenig darüber nachdenkt. Dieser Satz ist ein Anagramm, sobald man die Buchstaben umstellt, wird die eigentliche Bedeutung klar. In Wahrheit ist der Hinweis auf Deutsch verfasst. Richtig geordnet ergeben die Buchstaben den Satz: "Mach - bis ans Leiden."
Und ich war bereit zu machen. Bis ans Leiden. Das kann nur verstehen, wer seinen iPod liebt. Wer ihn so sehr liebt, dass er ihn zu öffnen bereit ist. Ich gebe zu, auch der Geiz hat mich getrieben, und wenn ich gewusst hätte, wie hoch der emotionale Preis für den Batterieersatz ist, dann hätte ich mich anders entschieden. Aber ich wusste es nicht. Ich wusste viele Dinge nicht, die ich mir sehr hart erarbeiten musste.
Nun gut, es hilft nicht, daran herumzudeuteln. Ich habe es getan. Und einen hohen Preis bezahlt. Einer der Akkuschieber da draußen hat mir einen geschickt, "inklusive Werkzeug und Einbauanleitung", hieß es in der Beschreibung.
Was per Post kam, war ein Brief mit einem eingeschweißten Allerweltsakku, einem Kreuzschlitz- und einem normalen Schraubenzieher und einem kleinen Faltblatt. Ein schäbiges Stück Hardware, simple Werkzeuge. Eine Schande. Vier Tage habe ich mich davor gedrückt. Meinen entkräfteten iPod noch einmal gestreichelt, ihn wieder an das Stromnetz gestöpselt und auf das Wunder der Spontanheilung gehofft. Vergeblich.
Das Schockvideo können Sie Morgen im Laufe des Tages unter www.ftd.de/ipod-op abrufen.
Ein Schraubenzieher! Wie stellen sich diese Leute das vor? Soll ich wie ein Autoknacker mit dem scharfen Stahl in eine Ritze fahren und darin brutal herumstochern? Da ist keine Ritze! Höchstens eine ganz winzige! Das ist ein iPod! Er hat nicht eine einzige sichtbare Schraube. Die magische Kraft kalifornischen Designs hält ihn zusammen.
So dachte ich, aber die Anleitung ist unerbittlich, und irgendwie war es auch schon zu spät: Der neue Akku lag da, der stromlose iPod auch, die Tat musste vollbracht werden. Mach - bis ans Leiden. Mit dem Schraubenzieher. In die Ritze zwischen dem himmelgrün eloxierten Aluminiumkörper und den weißen Kappen am oberen und unteren Ende.
Das macht ein ungutes Geräusch. Wie beim Lösen eines mit Wundflüssigkeit verklebten Pflasters. Darunter: Klebstoff und eine bittere Erkenntnis. Tatsächlich sind es zwei Schrauben und ein länglicher, ovaler Federring, die das Gerät zusammenhalten. Anders gesagt: Man kann ihn einfach aufschrauben, dann den Federring aus den Verankerungen herausprokeln, und schon liegen da - ungeschützt, noch in seinem Alukörper, aber doch bereits wehrlos - ein nackter Hold-Schalter und eine entblößte Steckverbindung. Der Reiz des Verbotenen.
Vorsichtig herausschieben, rät die Anleitung. Von unten nach oben. Die Platine gleitet nicht im Aluminium, sie kratzt über das Metall mit einem feinen, hohen und unerträglichen Quietschen, es klingt wie das Aneinanderreiben von Styropor. Ich muss die Augen schließen und innehalten, aber ich schaffe es. Ein letzter Stoß und er ist entzwei. Brache Technik.
Die unappetitlichen Details des Akku-Umstöpselns will ich mir hier ersparen. Es ist so erniedrigend einfach, wie ich es befürchtet hatte, vielleicht sogar noch ein bisschen erniedrigender und einfacher. Wenn es dir nur guttut, habe ich gedacht, wenn es dir nur guttut, dann bin ich auch dazu bereit.
Es war tiefe Nacht, als ich die letzte Wunde verschlossen hatte. Nun liegt er da, grün schimmernd, die weißen Abdeckplatten noch etwas hochgebogen von der Anstrengung, und das Ladegerät pumpt Energie in den neuen Akku. Beim Öffnen des Geräts bin ich mit dem Schraubenzieher ausgerutscht, und nun glänzt eine aluminiumfarbene Wunde auf der grün eloxierten Oberfläche. Er wird nie mehr derselbe sein, ich bin in ihn eingedrungen und habe sein Innerstes nach außen gekehrt. Ihm hat das nichts gemacht, die äußerlichen Spuren sind unbedeutend, denn die Software ist unberührt geblieben. Wenn er erst neu geladen ist, wird er die alten Lieder wieder spielen.
Bei mir ist es umgekehrt. Ich bin äußerlich unversehrt, doch ich spüre die Narbe in mir. Ich habe in seine Eingeweide gesehen, und dort drinnen - ich müsste flüstern, wenn ich diesen Satz vorlesen sollte -, dort drinnen ist, ja, einfach Technik. Chips. Eine Platine. Eine Festplatte! Ich habe ihm nur ein paar Kratzer zugefügt. Aber er hat mir sein Innerstes gezeigt - und mir so den Glauben geraubt.
Es gibt Wahrheiten, die man vergessen möchte, schon in dem Moment, in dem sie zum ersten Mal im Hirn auftauchen. Dies ist so eine. In Wirklichkeit ist der iPod einfach nur - ein kleiner Computer. |
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